Nina und Marcel von “enVie” machen aus recycelten Materialien neue Modekreationen. In Interview mit WOMAN.at erklären sie auch, warum dies besser sei als Kunstpelz zu kaufen.
In einem Forum fragt eine Frau, was sie mit dem geerbten Nerzmantel ihrer Großmutter machen solle. Sie ist sich unsicher: “Darf man Vintage-Pelz tragen?” Die Userinnen sind geteilter Meinung: “Klar, wäre doch schade, wenn er im Schrank einstaubt”, meinen die einen. “Nein, so eine Nerzjacke zu tragen, ist ekelig”, die anderen. Genau mit dieser Frage haben sich auch Nina Eiber und Marcel Jouja beschäftigt. Sie sind der Meinung, dass Erbstücke auf keinen Fall weggeschmissen werden sollten. Stattdessen bieten sie mit ihrem Wiener Label “enVie” ein Upcycling-Service für verschiedene Materialien und machen daraus neue, coole Kreationen. Im Talk mit WOMAN.at erfahren wir mehr von ihrer Arbeit.
Marcel, was ist deine Antwort, wenn du gefragt wirst, was du ganz grundsätzlich von Pelz hältst?
Marcel Jouja: Pelz ist die natürlichste und gesündeste Wärme. Ein Naturmaterial. Mein Großvater war Kürschner, mein Vater war Kürschner. Ich habe die Fellhaare sozusagen mit der Muttermilch getrunken und genieße den Café auch heute noch damit.
Wie ist es bei dir Nina?
Nina Eiber: Auch ich verbinde Pelz mit meiner Kindheit. Meine Mutter hatte einen wunderschönen bodenlangen Nerz – das war sehr en vogue in den 90er-Jahren. Ich hatte diesen Mantel immer als Kuscheldecke zweckentfremdet und mich damit eingewickelt – der Wärmefaktor von Nerz ist schwer zu überbieten. Nach 25 Jahren hat mir meine Mama den Pelzmantel geschenkt und dieser wurde nun zu einem Parka-Gilet umgearbeitet. Ich bin ein Vintage-Pelz Fan, weil es einfach ein wunderbares, langlebiges Naturmaterial ist – und jeder Pelz meist mit vielen Emotionen & Erinnerungen verflochten ist.
Ist es für dich okay, wenn Leute heutzutage eine neue Pelzjacke kaufen?
Marcel: Ich bin generell der Meinung, dass Menschen selbstbestimmte Wesen sind und Eigenverantwortung tragen (sollten). Wenn sich jemand eine neue Pelzjacke kauft, dann geschieht dies nicht willkürlich aus einer Laune heraus. Man macht sich lange darüber Gedanken. Sind die Felle oder Pelze aus einer verantwortungsvollen Quelle, ist es für mich persönlich vertretbar. Ist es eine echte Felljacke um einen Dumpingpreis, dann sollte man sich schon Gedanken machen. Ein Brathuhn um € 3,90 finde ich auch nicht okay.
»Den Hype um Kunstpelz sehe ich als Augenauswischerei der großen Modelabels, um gut dazustehen.«
Wäre es nicht besser, wenn man gleich gut gemachten Kunstpelz wählt?
Marcel: Kunstpelz ist ein reines Erdölprodukt und besteht aus Plastik mit Löchern. Es hält nicht warm und muss, nachdem es nicht mehr tragbar ist, im Sondermüll entsorgt werden. Nach 1-2 Winter wird Kunstpelz im Regelfall entsorgt, da die Plastikhaare brechen und nicht mehr schön anzusehen sind. Den Hype um Kunstpelz sehe ich als Augenauswischerei der großen Modelabels, um gut dazustehen. In Zeiten des Klimawandels klingt dies natürlich toll, jedoch bedarf die Herstellung und Entsorgung von Kunstpelz eines riesigen Energieaufwands. Da nutzen wir bei “enVie” lieber vorhandene Pelzressourcen, die in den Kleiderkästen ihr Dasein fristen. Ich spreche bei unseren Produkten immer gerne vom ökologischen Fußabdruck. Kunstpelz besitzt keinen ökologischen Fußabdruck – es ist ein Missbrauch an der Natur und eine falsche Information an die Konsumenten.
Wurde aus diesem Gedanken heraus auch die Idee für euer Label geboren?
Marcel: Schon als kleiner Junge habe ich in der Werkstatt meines Vaters getüftelt und ausprobiert. Alte Pelze gab es dort in Hülle und Fülle. Mit der Zeit kam ich darauf, dass alte Pelze die 20 oder 30 Jahre alt sind, teilweise immer noch gut bis sehr gut zu verarbeiten waren. Damals kam der Wunsch in mir auf den Menschen natürliche und vor allem nachhaltige Wärme zu einem fairen Preis anzubieten.
Es werden aber auch andere recycelte Materialien verwendet, oder?
Nina: Das USP von “enVie” war von Beginn an Textilveredelung. Nämlich bestehende (Lieblings-)Kleidungsstücke oder Accessoires „aufzumotzen“ – sei es eine Denim Jacke, der Lammfellmantel von Opa oder ein Rucksack. Es war und ist uns wichtig, vorhandene Ressourcen zu verwenden, das können alle möglichen Materialien sein.
Für eure Kreationen werden also nur Vintage-Pelze verwendet?
Marcel: Wir greifen zum Teil auch auf Wildwerk zurück, die von Trapper-Jägern und Bauern verantwortungsvoll der Natur entnommen werden. Sei es dass es Felle aus der menschlichen Nahrungskette sind – wie Ziege, Schaf Hase oder Rind – oder Felle die aufgrund der entstandenen Mikrokosmen reguliert werden müssen, um das Gleichgewicht der Natur annähernd zu gewährleisten. Mikrokosmen entstehen, wenn Tiere durch Zäune, Autobahnen, Bahnstrecken und dergleichen nicht mehr wandern können. Dann gibt es Tiere die nicht in die Naturlandschaft gehören, in die sie vor 100 Jahren eingeschleppt wurden. Das Opossum wurde von Australien nach Neuseeland eingeschleppt und wird dort stark bejagt, da er sich unter anderem von den Eiern der Kiwivögel ernährt. Der Kiwi ist dort mittlerweile eine bedrohte Tierart. So gibt es unzählige andere Beispiele auf der Welt. Wichtig ist mir zu betonen, dass wir für unsere Kollektionen und “enVie” Kreationen keine Felle aus Zuchtbetrieben beziehen.
Was sagst du zum Argument, dass man Pelze (egal ob echt oder fake) generell nicht tragen sollte, erst dann werden grausame Pelz-Farmen nicht mehr existieren?
Marcel: Meiner Meinung nach, ist es wichtiger die Konsumenten aufzuklären, was Pelz kann und was er kosten MUSS, wenn die Tiere artgerecht gehalten werden sollen. Viel wichtiger finde ich, die Felle der Tiere zu nutzen, die so oder so bejagt werden. Alleine in Österreich werden pro Jahr wegen der Wildtier-Regulierung um die 200.000 Rotfüchse bejagt. Davon werden 90% der Felle einfach weggeschmissen. Diese Ressourcen sollte man nutzen, dann bräuchte man die Pelzfarmen nicht mehr. Wobei ich hier auch betonen möchte, dass Pelzfarmen in Europa strengsten Kriterien unterliegen und keineswegs grausam sind – stattdessen sollten wir Plastik out werden lassen.
Werdet ihr manchmal angefeindet, weil ihr mit echten Pelzen arbeitet?
Nina: Um ehrlich zu sein wurden wir deshalb noch nie angefeindet. Im Gegenteil: jeden Tag bekommen wir positives Feedback, weil wir „aus alten“ bzw. „untragbaren“ Pelzen etwas Zeitgemäßes, Funktionelles & Cooles schaffen – das ist die beste Motivation. Oft erkennt man bei unsere Kreationen erst auf den zweiten Blick, dass es sich um Pelz handelt oder man erkennt die “enVie” Parkas am „Green Fur Couture Upcycling“ Emblem.
Beispiel: Man hat einen alten Pelz verebt bekommen, der aber altbacken aussieht? Welche Möglichkeiten gibt es?
Nina: Was man daraus machen kann, hängt von der Qualität des Pelzes ab und natürlich auch von der Größe. Wenn es sich beispielsweise um eine Vintage Nerz- oder Lammfeljacke handelt – kann man daraus ein Cape, Blouson oder eine Aviator Jacke machen. Aus der alten Fuchs- oder Waschbärjacke empfehlen wir meist wendbare Gilets, Stolen oder sogar eine Decke. Hat man jedoch einen großen Nerzmantel zur Verfügung, so sind unsere M78 Parka die Favoriten: maßgeschneiderter Parka mit Original Zeltplanen Außenhülle und gefüttert mit dem mitgebrachten Pelz. Verfügt man übrigens über keinen Pelz – auch kein Problem – wir haben einen Fundus an Vintage Pelzen und Wildfellen, sodass der Kunde sein individuelles “enVie” Masterpiece selbst zusammenstellen kann.
Was kostet es einen alten Pelz zu veredeln?
Nina: Auch das ist abhängig von dem Aufwand der Veredelung oder einer kompletten Umarbeitung. Diverse Änderungen wie Kragen entfernen, Ärmel kürzen, neues Innenfutter kosten in Summe circa 500 bis 700 Euro. Die Parka Umarbeitung liegt preislich bei 2.150 Euro (plus diverser „Upgrades”). Ein maßgeschneiderter Trenchcoat mit upcycled Pelzfutter startet bei 2.800.
Und zum Abschluss: Wie komme ich nun zu meinem Upcycling-Stück?
Nina: Wir möchten uns für unsere Kunden individuell Zeit nehmen und diese beraten, daher bitten wir unbedingt um Terminvereinbarung via Telefon oder Email im Vorhinein. Dabei eruiere ich schon mal, ob der Kunde einen Pelzschatz mitbringt oder einen Vintage-Pelz von uns beziehen möchte. Wenn der Kunde mit einem vorhanden Pelzschatz zu uns kommt, überprüfen wir als Erstes die Lederqualität (= das Trägermaterial der Pelzhaare). Eine gute Lederqualität ist die Grundvoraussetzung für eine mögliche Umarbeitung. Wenn das Leder noch gut ist (und das ist das tolle z.B. an Nerze – die halten oft 40 Jahre oder länger), dann steht einer Umarbeitung Nichts im Wege. Dann beraten wir die Kunden und zeigen ihnen die verschiedenen Modelle, nehmen Maß und besprechen alle Details. Je nach Modellausführung benötigen wir für die Umarbeitung zwischen 4 bis 12 Wochen. Der Parka ist meist nach circa 5 Wochen ready-to-wear und bedarf meist auch keiner Anprobe – das schätzen die Kunden insbesondere aus dem Ausland sehr.
Hinweis:
Das “enVie”-Team hat keine allgemeinen Öffnungszeiten.
Daher ist es ratsam, sich einen Termin vorweg zu vereinbaren. Hier findet man alle Kontaktdaten: www.envieheartwork.com
enVie Showroom: Hartlgasse 29 (Hofloft), 1200 Wien